So wie Teile des deutschen Feuilletons es lieben, bei jeder sich bietenden Gelegenheit gegen „den deutschen Film“ zu treten (allen voran mein spezieller Freund Peter Körte von der FASZ), so angesagt ist es im polnischen Musikjournalismus, die eigenen Landsleute mit besonders argwöhnischem Argwohn unter die Lupe zu nehmen. Das zeigt sich zum Beispiel an Sätzen wie dem folgenden:
{% blockquote %} Mit dem Akzent kommt die Sängerin hervorragend zurecht – was im Falle polnischer Bands, die auf Englisch singen, nicht selbstverständlich ist. {% endblockquote %}
Weil so gut wie nichts „selbstverständlich“ ist, stimmt dieser Satz natürlich. Doch käme er auch sehr gut ohne den Seitenhieb gegen diejenigen aus, die ihren slawischen Akzent angeblich nicht im Zaum halten können.
Der zitierte Satz stammt aus einer Rezension des Albums Life on Planet B der polnischen Band BOKKA. Es ist ihr drittes Album, erschienen vor genau einer Woche, am nichts als Unglück bringenden 20. April.
An jenem Freitagnachmittag, auf dem Weg nach Gdansk, wo Life on Planet B erstmalig live präsentiert werden soll, fängt BOKKAs Tourbus auf der Autobahn plötzlich Feuer. Zum Glück wird niemand verletzt. Doch Instrumente im Wert von 20.000 Euro fallen den Flammen zum Opfer. Das Konzert muss abgesagt werden.
Großes Bangen derweil in Poznań. Wird BOKKA am nächsten Tag auf dem Spring Break Festival spielen können? Schließlich soll der Auftritt das Highlight des Festivals werden. Am Ende dann Aufatmen: Nach einer organisatorischen Meisterleistung stehen am Samstagabend pünktlich um 23:30 Uhr nicht nur die vier Musikerinnen und Musiker von BOKKA auf der Bühne, sondern auch das gesamte Instrumentarium, das eine Synthpop-Band zum Musizieren benötigt. Nun ist die Spannung groß: Wie klingt das neue Album? Kann es genauso begeistern wie die beiden erfolgreichen Vorgänger?
Nun ja … am Ende des Konzerts muss man wohl sagen: Nein, kann es nicht!
Nach jedem Lied wird zwar höflich applaudiert, doch mehr auch nicht. Sind es vielleicht die langen Pausen zwischen den Stücken, die keine Stimmung aufkommen lassen? Wer BOKKA nicht kennt, muss wissen, dass eigentlich niemand BOKKA kennt. Zumindest nicht die Identität der stets hinter Masken verborgenen Band-Mitglieder. Nicht einmal die Singstimme der Frontfrau lässt Rückschlüsse zu. (Schuld ist dieses vermaledeite akzentfreie Englisch.) Polnische Ansagen hingegen wären gefährlich. Also beschränkt sich die Band darauf, ihr Publikum schriftlich zu informieren – per Tastatur und Beamer. Das ist nicht nur einigermaßen skurril, sondern leider auch zeitintensiv und stimmungsdämpfend.
Jedoch dies allein kann nicht der Grund sein, warum das Publikum an diesem Abend so reserviert bleibt. Es wird wohl eher an den neuen Songs liegen. Sind sie denn so schlecht? Werfen wir einen Blick in die polnische Musik-Blogosphäre. Die Polen lieben es, ausführliche Album-Rezensionen zu verfassen. Im Falle von Life On Planet B sind die ersten beiden, die ich finde, vernichtend. Zusammengefasst lautet ihre Kritik, BOKKA schwanke mit Blick auf die internationale Karriere unentschlossen zwischen auf Hitpotential getrimmter Radiomusik und merkwürdig-mutlosem Elektro.
Ein Vorwurf, den ich nicht teile. Die nächste (und eingangs bereits zitierte) Rezension steht mir bei:
{% blockquote %} In der Tat haben wir ein Album bekommen, das so ausgefeilt und stimmig eine konkrete Vision verwirklicht, dass es schwer fällt, sich über irgendetwas zu beschweren. {% endblockquote %}
Was man vielleicht kritisieren kann, ist die Tatsache, dass einen das Album nicht auf Anhieb vom Hocker haut. Man braucht Zeit. Und so wünsche ich allen Konzertbesuchern, die an jenem Samstagabend ungeflasht nach Hause gingen, dass sie Life On Planet B eine zweite Chance geben.