Kulturklubben

Heiligabend

Simon

Heiligabend. Zum ersten Mal in meinem vier Jahrzehnte währenden Leben bin ich an diesem Tag allein. Was soll’s. Ich werde es mir so riiiichtig gemütlich machen.

Doch zunächst ein wenig Action! Mein Nachbar hat sich bereiterklärt, in meinem Badezimmer einen Schrank anzubringen. Ich assistiere: „24,5 geteilt durch 2, sagten Sie? Ämm, … zwölf … mmm, zwölf Komm-ma … zwölf Komma zwei fünf!“ Hundert Rechnungen später: „Ja, sieht gerade aus!“

Ich bedanke mich beim Nachbarn, wünsche frohe Weihnachten und bringe ihn zur Tür. Dann schnappe ich mir Staubsauger und Scheuermilch und putze das Bad, als würde ich Gäste erwarten.

Nach so viel Bewegung habe ich mir eine Dusche verdient. Hundert Liter später steige ich aus der Kabine. Da steht mir plötzlich ein Mann gegenüber! Der ebenfalls nackt ist und ebenfalls erschreckt zusammenzuckt. Aber dicker ist er als ich. Glaube ich. Hoffe ich. Der Nachbar? Nein, verdammt, der neue Spiegelschrank!

Es ist Zeit für ein Mittagessen. Im Kühlschrank stehen noch Linsen. Meine Mitbewohnerin und ich haben sie vor sechs Tage gekocht, um damit Piroggen zu füllen. Am Ende waren wir zu faul, Piroggen zu machen, haben stattdessen zu zweit eine Schüssel Mousse au Chocolat gegessen (2 Packungen Vanillezucker, 300 g Schokolade, 400 g Seidentofu) und die Linsen Linsen sein lassen. Heute kommen sie in meinen Salat. Aber, puh, so richtig schmecken tut er nicht … Hundert Minuten später ist mir speiübel.

Für den Rest des Tages ist mir der Appetit vergangen. Das einzige, was ich heute noch zu mir nehmen werde, sind die veganfreien Kekse meiner Oma und der Brombeer-Likör aus der Uckermark.

Nach einem erfreulichen Telefonat mit meiner Schwester lege ich mich auf die Couch und lese Sieben von Ziemowit Szczerek. Im Hintergrund läuft Waking Hours von Photay (der mit bürgerlichem Namen Evan Shornstein heißt). Vor allem Track 6, The People, hat es mir angetan.

Hundert Seiten später gehe ich schlafen. Der Uckermärker Brombeer-Likör macht’s möglich. Morgen früh werde ich zu meiner Mutter fahren. Dann wird endlich richtig Weihnachten gefeiert!